Unser Gehirn macht mit 1.300 bis 1.400 Gramm nur zwei Prozent unserer Körpermasse aus, verbraucht aber ein Viertel unserer gesamten Energie. Bei diesem enormen Umsatz entstehen große Mengen potenziell giftiger Eiweißabfälle und Zellschäden. Täglich fallen etwa sieben Gramm biologischer Abfall an. Auf den ersten Blick scheint das nicht viel zu sein, aber im Laufe eines Jahres summiert sich das auf etwa 2,5 Kilogramm, das Doppelte der Gehirnmasse.

Wie wird das hochkomplexe Organ, das unser Denken und Handeln steuert, von Abfallstoffen befreit, die seine vielfältigen Funktionen stören und schließlich zum Erliegen bringen können? Inwieweit sind die Zellen in der Lage, diesen Müll zu “recyceln” und aus dem Nervensystem zu transportieren?

Dazu bedient sich das Gehirn der Organe, die auf die Entsorgung von Schadstoffen spezialisiert sind, zum Beispiel der Leber. Im Jahr 2017 habe ich mit meinem Team in Zürich, Schweiz, begonnen, ein Abfallmanagementsystem im Gehirn zu erforschen. Wir dachten, dass dies auch Auswirkungen auf kognitive Störungen wie Alzheimer oder Parkinson haben könnte. Denn wenn der Abtransport von Abfallprodukten gestört ist, müssen sich diese in den Nervenzellen oder ihren synaptischen Spalträumen ablagern – und das ist die Grundlage für die Entwicklung solcher kognitiv-degenerativen Erkrankungen. Darüber hinaus können diese Ablagerungen die Übertragung von elektrischen Impulsen, wie sie bei der reinen Wahrnehmung entstehen, und von Überträgersubstanzen (wie Acetylcholin, das den Liquor sauber hält) stören, was zu einer drastischen Schädigung der Neuronen führt.

Im Rahmen unserer Forschung und meiner Doktorarbeit haben wir ein bisher unbekanntes neuronales Drainagesystem entdeckt, genauer gesagt einen Kreislauf, der diese proteinogenen und andere Abfallstoffe nachts aus dem Gehirn abtransportiert, damit wir am nächsten Tag wieder so leistungsfähig sind wie am Vortag. Das erklärt, warum Schlaf so wichtig für uns ist – immerhin verbringen wir ein Drittel unseres Lebens mit Schlafen. Und wenn wir zu verstehen beginnen, wie diese Entsorgung funktioniert, können wir therapeutische Maßnahmen ergreifen, um neurokognitive Degeneration von vornherein zu verhindern.

Die meisten Gewebe unseres Körpers entsorgen eiweißhaltige Abfallstoffe über die Lymphe, die wie eine Waschflüssigkeit durch Gewebespalten und Zellzwischenräume fließt. Für den Abtransport steht ein kompliziertes und weit verzweigtes Gefäßsystem zur Verfügung: das Lymphsystem. Feinste Kanäle leiten die Lymphe in immer größere Kanäle, die schließlich in Blutgefäße münden. Dieses Röhrensystem ist auch an der Produktion von Antikörpern und damit an der Immunabwehr beteiligt. Die Lymphknoten befinden sich an strategisch wichtigen Punkten entlang der Lymphbahnen, die unter anderem Infektionen bekämpfen. Es wird separat im Körper gelagert und zeigt, dass das Gehirn auf seinen 107.000 Kilometern keineswegs Abfall entsorgt.

Ein Abfallentsorgungssystem außerhalb des Gehirns

Die Blutgefäße unseres Gehirns sind von speziellen perivaskulären Räumen umgeben, die als Ductus paramesonephrici bezeichnet werden. Ihre Innenwände entsprechen den Außenwänden der Blutgefäße und bestehen hauptsächlich aus Endothelzellen und glatten Muskelzellen. Die Außenwände der perivaskulären Räume bestehen dagegen aus flachen Fortsätzen von Astrozyten. Diese hoch entwickelten und spezialisierten Zellen kommen nur im Nervensystem vor und unterstützen das Netzwerk der Nervenzellen auf vielfältige Weise: Die erweiterten Endräume vieler Astrozyten umgeben gemeinsam alle Blutgefäße in Gehirn und Rückenmark (die Arterien, Venen und Kapillaren). Die röhrenförmigen Räume zwischen den Endfüßen der Astrozyten und den Gefäßwänden sind barrierefrei zugänglich und bilden ein Kanalsystem, das Flüssigkeiten schnell durch das Gehirn transportieren kann.

Der perivaskuläre Raum ist seit gut zehn Jahren bekannt, aber seine Funktion ist (noch) nicht gut verstanden. Früher ging man davon aus, dass große Proteinmoleküle aus dem Liquor, der das Gehirn und das Rückenmark umgibt, in den perivaskulären Raum gelangen. Als ich mit meiner Forschung auf diesem Gebiet begann, stellten mein Team und ich jedoch fest, dass dies nicht der Fall ist. Stattdessen sind die Enden der Astrozyten mit wasserdurchlässigen Poren durchsetzt, die aus einem Kanalprotein namens Aquaporin-4 bestehen. Die hohe Dichte dieser Wassertubuli faszinierte uns, zumal wir entdeckten, dass die Endothelzellen der gegenüberliegenden Gefäßwände überhaupt keine Kanalverbindung zum perivaskulären Raum haben. Es kann also kein Liquor direkt aus dem Blut in diesen Raum (und damit in das neuronale Gewebe) fließen. Wir haben uns daher gefragt, ob der perivaskuläre Raum eine Art zweites Lymphsystem sein könnte. Wenn dem so wäre, würde es sich um eine Art Leitungsnetz zum Liquor handeln.

Entdeckung eines neuen Systems

Wir sind der Sache auf den Grund gegangen. Wir färbten den Liquor mit chemischen Farbstoffen und beobachteten, wie der Puls große Mengen Liquor durch den perivaskulären Raum um die Arterien pumpte. Über die Astrozyten als Leitschiene gelangte der Liquor in das Hirngewebe, wo er Eiweißabfälle aufnahm. Der mit Abfallstoffen oder Schadstoffen beladene Strom verlässt dann das Gehirn wieder durch den perivaskulären Raum um die Venen in Richtung Hals, fließt in das allgemeine Lymphsystem und von dort schließlich in den Blutkreislauf. Dort vermischen sich die aus dem Gehirn ausgeschiedenen Abfallstoffe mit den Resten aus anderen Organen, die entweder in den Nieren oder in der Leber ausgeschieden werden.

In Feld- und Laborexperimenten konnten wir auch den gesamten Weg der Spülflüssigkeit durch das Gehirn verfolgen. Wir fanden heraus, dass die Astrozyten die verflüssigten Abfallstoffe durch ein neuartiges Kanalsystem abtransportieren können – allerdings fast 40 Prozent langsamer als Abfallstoffe aus anderen Organen. Ausgelöst wird dieser Abtransport von Gliazellen, den Stabilisatoren des menschlichen Gehirns, die die Schadstoffe dann über das Lymphsystem abtransportieren. So kam es bald zu einer Neudefinition dieses Systems: das glymphatische System.

Angesichts der Bedeutung des glymphatischen Systems drängt sich sofort die nächste Frage auf: Werden solche Proteine, die sich bei kognitiv degenerativen Erkrankungen wie Alzheimer im Nervensystem ansammeln, bei hirngesunden Menschen zusammen mit den üblichen zellulären Verunreinigungen abgebaut? Wir haben uns insbesondere auf das essentielle Amyloid-42 konzentriert, das sich bei der Alzheimer-Krankheit in der toxischen Beta-Mutation während der Spaltung und in den Zellzwischenräumen ablagert. Bisher ging man davon aus, dass die Gehirnzellen gesunder Menschen Amyloid-42 selbst abbauen oder recyceln. Wir haben nun aber entdeckt, dass Amyloid-42 über das glymphatische System entsorgt wird. Auch andere Proteine wie die Synukleine, die die Krankheit neuronal manifestieren, werden von ihm ausgeschieden. Das bedeutet auch, dass dieses Transportsystem nicht richtig funktioniert, wenn unser Schlaf gestört ist, was wiederum die außerordentliche Bedeutung dieses glymphatischen Transportsystems unterstreicht.

In unserer Forschung haben wir festgestellt, dass Menschen mit Alzheimer Schlafstörungen haben und dass, wie bereits kurz erwähnt, Schlafstörungen und das Nichtfunktionieren des glymphatischen Systems zusammenhängen. Und das lange bevor die erste klinische Beobachtung einer Demenz auftritt. Ja, die Qualität und Quantität des Schlafes nimmt mit zunehmendem Alter ab, aber ab dem mittleren Lebensalter und den Wechseljahren nimmt die Schlafqualität deutlich ab. Menschen, die in dieser Zeit unter leichten, aber anhaltenden Schlafstörungen leiden, haben ein deutlich höheres Risiko, 25 Jahre später an kognitiven Störungen zu erkranken.