Du bist völlig erschöpft und begibst dich in eine Schlafklinik, wo dir Elektroden auf den Kopf gesetzt werden, um deine Gehirnströme während der verschiedenen Schlafphasen aufzuzeichnen. Am Morgen berichtest du, dass du kaum geschlafen hast. Die Auswertung des Tests (Polysomnographie, der Goldstandard für Schlafmessungen) zeigt jedoch, dass der Patient die gesamte Nacht durchgeschlafen hat.
Dein Fall ist nicht typisch für die klassische Vorstellung einer Person mit Schlaflosigkeit, die auf den Schlaf wartet, möglicherweise die Uhr beobachtet, liest und auf den Morgen wartet. Stattdessen wird dein Zustand als subjektive Schlaflosigkeit, paradoxe Schlaflosigkeit oder Schlafwahrnehmungsstörung bezeichnet. Die Wissenschaft hat dieses hartnäckige Rätsel jahrzehntelang ergebnislos untersucht – bis jetzt. Nun ist bekannt, dass die von dir empfundene Schlafstörung nicht auf einer Fehlinterpretation beruhte, sondern auf einer fehlerhaften Messung.
Die jüngsten Studien haben aufgezeigt, dass eine signifikante Anzahl von Menschen mit subjektiver Schlaflosigkeit eine andere Gehirnaktivität aufweist als Menschen, die gut schlafen – und dies über die gesamte Nacht. In einer Studie des Netherlands Institute for Neuroscience (NIN) unter der Leitung von Aurélie Stephan wurde festgestellt, dass die Verwendung von 256 statt der üblichen sechs bis 20 Elektroden auf dem Kopf zu einer signifikanten Veränderung der Gehirnaktivität bei den Teilnehmern führte. In einer Versuchsreihe wurden die Probanden im Durchschnitt etwa 26 Mal pro Nacht geweckt. Die Teilnehmer wurden gebeten, Angaben dazu zu machen, ob sie geschlafen oder wach waren und woran sie gedacht hatten.
Die bemerkenswerteste Erkenntnis war, dass diese Menschen während des REM-Schlafs Erregungsherde in Form schneller Gehirnwellen aufwiesen. REM ist die Phase im normalen Schlaf, in der sich das Gehirn vollständig von den Systemen abkoppeln sollte, die dich aufmerksam und wachsam halten.
Subjektive Schlaflosigkeit und unterbrochene REM-Phasen (rapid eye movements) gehen mit einer als nicht erholsam empfundenen Schlafqualität einher. Bei einer Weckung berichten die Probanden, dass sie ähnliche Gedanken wie im Wachzustand hatten. Diese Gedanken können beispielsweise das Aufschreiben von Salat auf die Einkaufsliste oder das Erinnern an das Anrufen des Cousins beinhalten. Somit ist die Wahrscheinlichkeit, intensive Träume zu haben, in denen man sich körperlich in der Traumwelt präsent fühlt und durch einen dunklen Flur flieht, die Härte des Bodens spürt oder gegen einen Drachen kämpft und dessen heißen Atem spürt, bei dieser Gruppe geringer.
Im Rahmen einer Studie mit Personen, die als „normale Schläfer“ kategorisiert wurden, gaben die Befragten an, dass sie während der intensiven Träume, die im REM-Stadium auftreten, am tiefsten schlafen. Personen, die unter einem unterbrochenen REM-Schlaf leiden, berichten nicht von intensiven Träumen. Die Probanden gaben an, nicht das Gefühl zu haben, tief geschlafen zu haben, und berichteten von einer Müdigkeit, die der von Menschen ähnelt, die tatsächlich sehr wenig schlafen.
Von noch größerer Bedeutung ist die Erkenntnis, dass unterbrochener REM-Schlaf in engem Zusammenhang mit Störungen wie posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und Angstzuständen steht. Bei zwei Menschen, die dasselbe Trauma erleben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der eine eine PTBS entwickelt, deutlich geringer als beim anderen, der unter Schlafstörungen leidet. Menschen mit Schlafstörungen sind daher in besonderem Maße anfällig für die Entwicklung einer PTBS. Ein Teufelskreis.
Eine andere Studie belegt dies experimentell. Im Rahmen der Studie wurden Menschen drei Tage hintereinander einer emotional belastenden Erfahrung ausgesetzt. Die Probanden mussten sich selbst beim Karaoke singen zuhören, wobei die Darbietung oft schief war. Dies löste Schamgefühle aus. Gemessen an ihren physiologischen Reaktionen fühlten sich die Probanden nach einer Nachtruhe weniger gestresst. Bei den Probanden mit Schlafstörungen hingegen führte die Erfahrung zu einer Steigerung des Stressniveaus.
Der Anteil der Menschen mit Schlafstörungen, die unterbrochene REM-Phasen aufweisen, ist bislang nicht bekannt. Die vorliegenden Erkenntnisse deuten jedoch auf die Möglichkeit hin, dass sich daraus neue, auf die jeweilige Person zugeschnittene Behandlungsansätze für Schlafstörungen ableiten lassen, die in ihrer Wirkung nicht auf eine einzelne Ursache beschränkt sind. Insbesondere für Menschen mit Schlafstörungen, die zusätzlich unter Depressionen und Angststörungen leiden, könnten solche Behandlungsansätze von Vorteil sein.
Die kognitive Verhaltenstherapie bei Schlafstörungen (CBTi) stellt derzeit die Standardbehandlung bei Schlafstörungen dar. Im Rahmen dieser Therapie lernen die Betroffenen, ihre Angst vor dem Schlafen zu verringern und Verhaltensstrategien anzuwenden, die zu einem besseren Schlaf führen. Allerdings zeigt sich, dass die CBTi nicht bei jedem Betroffenen wirkt. Insbesondere Menschen mit unterbrochenem REM-Schlaf benötigen wahrscheinlich andere Lösungen.
Eine in der KVT eingesetzte Verhaltensstrategie, die Schlafrestriktion, erweist sich bei Menschen mit unterbrochenem REM-Schlaf als vielversprechend. Einige Methoden der Schlafrestriktion verkürzen die Zeit, die eine Person im Bett verbringt, auf die durchschnittliche Zeit, die sie tatsächlich pro Nacht schläft. Andere Methoden verzögern die Zubettgehzeit einer Person. Sofern eine Person objektiv fünf Stunden und fünfundfünfzig Minuten schläft, erlauben die Experten dieser Person, lediglich sechs Stunden im Bett zu verbringen. Eine vorläufige Laborstudie, bei der die Teilnehmer ihre normale Schlafenszeit um zwei Stunden verschoben, zeigte, dass eine solche Schlafbeschränkung die Anzahl der Arousals während des REM-Schlafs verringern kann. Die Forschung hofft, diese Ergebnisse in einer größeren Studie mit Menschen, die zu Hause schlafen, zu bestätigen.
Die neue Wissenschaft ebnet den Weg für medikamentöse Eingriffe. Die NIN-Gruppe strebt die Zulassung von Tests an, um zu eruieren, ob die Verabreichung eines Betablockers, der üblicherweise zur Senkung des Blutdrucks verschrieben wird, die Auswirkungen von persistierenden Noradrenalinstößen lindern kann. Des Weiteren wird die Möglichkeit in Betracht gezogen, das Blutdruckmedikament Clonidin zu testen, in der Hoffnung, dass es dem Gehirn zu einem wissensfähigeren Zustand verhelfen kann.
Bis die entsprechenden Interventionen verfügbar sind, kann es für die Patientinnen und Patienten bereits eine gewisse Beruhigung darstellen, zu wissen, dass ihr Schlaf objektiv anders ist. Dies kann zu einer subjektiven Erleichterung führen, die sich möglicherweise auch auf die Schlafqualität auswirkt.