Warum Hitzewellen das Schlaganfallrisiko erhöhen

0
8

Allein im Jahr 2019 haben Schlaganfälle weltweit 6,6 Millionen Menschen das Leben gekostet und viele weitere mit Behinderungen zurückgelassen. Die Zahl der Schlaganfälle ist im letzten Jahrhundert aufgrund der alternden Bevölkerung und des veränderten Lebensstils (Rauchen, Übergewicht und Umweltverschmutzung gehören zu den Hauptrisikofaktoren) stark angestiegen. Heute ist er weltweit die zweithäufigste Todesursache. Diese Gefahr ist umso beunruhigender, als ein neuer, unerwarteter Faktor hinzugekommen ist: extreme Temperaturen. Sie sollen weltweit jedes Jahr für mehr als eine halbe Million Schlaganfalltote verantwortlich sein. Eine neue Studie zeigt, dass 8 % aller Schlaganfälle auf Hitze- oder Kälteeinbrüche zurückzuführen sind – eine Zahl, die in den letzten dreißig Jahren gestiegen ist.

Für diesen Zeitraum wurden globale Gesundheitsdaten aus einer internationalen Kooperation, der Global Burden of Disease Study, zusammengetragen und mit den detaillierten Temperaturberichten verglichen. Das Ergebnis: Extreme Temperaturen erhöhen das Risiko, egal ob es sich um extreme Kälte oder Hitze handelt. Im Jahr 2019 waren extreme Kälte und Hitzewellen weltweit für 474.002 bzw. 48.030 tödliche Schlaganfälle verantwortlich. Die Auswirkungen von Kälte sind also derzeit zehnmal größer als die von hohen Temperaturen, aber das könnte sich mit der Zunahme und Intensivierung von Hitzewellen aufgrund der globalen Erwärmung ändern.

Der Blutwassergehalt sinkt

Warum erhöht Hitze das Schlaganfallrisiko? Man unterscheidet zwei Arten von Schlaganfällen: Entweder platzt ein Blutgefäß im Gehirn “hämorrhagischer Schlaganfall) oder ein Blutgerinnsel verstopft das Gefäß (ischämischer Schlaganfall). Im zweiten Fall wird der Blutfluss unterbrochen, wodurch das betroffene Gebiet nicht mehr mit Sauerstoff versorgt wird und die Nervenzellen rasch absterben. In diesem Fall muss so schnell wie möglich gehandelt werden, um bleibende motorische Schäden und Behinderungen zu vermeiden – sonst kann der Betroffene den Körperteil, der mit dem geschädigten Hirnareal verbunden ist, nicht mehr richtig bewegen. Im schlimmsten Fall kann dies tödlich enden.

Welche Rolle spielt dabei die Temperatur? Damit lebenswichtige Organe wie das Herz oder die Nieren richtig funktionieren, muss unser Körper eine stabile und konstante Körpertemperatur aufrechterhalten. Bei extremer Kälte oder Hitze löst das Gehirn einen physiologischen Reflex aus, um dieses Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Wenn die Temperatur sinkt, ziehen sich die Blutgefäße in den Extremitäten (Fingerspitzen, Füße…) zusammen, um die Wärme im Körper zu halten. Wenn die Gefäße durch das Alter oder verschiedene Faktoren wie Rauchen, schlechte Ernährung oder Alkoholkonsum geschwächt sind, besteht die Gefahr, dass ihre Wände reißen. Eine weitere Auswirkung der Kälte ist, dass das Blut zähflüssiger wird, was den Blutfluss erschwert und die Bildung von Blutgerinnseln begünstigt.

Was passiert während einer Hitzewelle? Durch Schwitzen geht Wasser verloren, auch im Blut, das dadurch zähflüssiger wird. Die Fettkonzentration in den Arterien steigt, was die Gefahr von Blutgerinnseln erhöht. Aber auch Hitze – wie starke Kälte – führt zu Entzündungsreaktionen im Körper. Starke Kälte und hitzebedingte Mikroverbrennungen führen zum Absterben bestimmter Zellen, deren Überreste das Immunsystem aktivieren. Die Folge ist eine Kaskade von Entzündungsreaktionen, die zu einem Schlaganfall führen können, sei es durch die Aktivierung von Blutplättchen, die normalerweise an der Blutgerinnung beteiligt sind, aber auch die Bildung von Blutgerinnseln begünstigen können, sei es, weil bestimmte Entzündungsmoleküle die Gefäße schädigen und damit das Risiko erhöhen, dass sie reißen.

Das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, ist jedoch nicht bei allen Menschen gleich hoch. Während junge, gesunde Menschen mit extremen Temperaturen gut zurechtkommen, kann der Körper von Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Herzinsuffizienz nur schwer mit Temperaturschocks umgehen. Auch das Alter spielt eine Rolle, denn mit den Jahren verändert sich die Zusammensetzung des Blutes. Es wird dicker, bildet leichter Blutgerinnsel und kann diese schlechter abtransportieren. Aus noch nicht vollständig geklärten Gründen sind Männer anfälliger als Frauen.

Bist du gefährdet?

Auch soziale Ungleichheiten spielen eine Rolle. Daten aus 204 Ländern und Gebieten weltweit zeigen, dass temperaturbedingte tödliche Schlaganfälle in Regionen mit niedrigem sozioökonomischem Niveau häufiger auftreten. Die Gründe dafür sind eine schlechtere Gesundheitsinfrastruktur, fehlende Warnsysteme für extreme Wetterbedingungen, fehlende Heizungen oder Klimaanlagen und ein geringeres Bewusstsein der Bevölkerung für Risikofaktoren und Symptome eines Schlaganfalls wie plötzliche Lähmung eines Gesichtsteils, unerklärliches Taubheitsgefühl in einem Arm oder Bein oder plötzliche Schwierigkeiten beim Sprechen oder Sprachverständnis.

Was könnte in einer Welt passieren, in der extreme Hitze immer häufiger wird? Um das herauszufinden, haben Forscher die Trends der letzten 30 Jahre mit Klimaprognosen verglichen… Was haben sie herausgefunden? Schlaganfälle im Zusammenhang mit Hitzewellen werden sich bis 2030 vervielfachen, in einigen Regionen sogar verdreifachen. Westeuropa wird in dieser Hinsicht relativ verschont bleiben, aber die Hitze wird andere Schäden anrichten, denn anderen Studien zufolge wird die Sterblichkeit vor allem durch Dehydrierung bei älteren Menschen und durch Herzinfarkte bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen zunehmen.

Eine Aussage über die Entwicklung der durch extreme Kälte verursachten Schlaganfälle ist schwer zu treffen. Eine Prognose ist schwierig, da die globale Erwärmung paradoxerweise in einigen Teilen der Welt zu extremeren Kältewellen führen könnte; alles hängt also von lokalen Wetterphänomenen ab. Die beteiligten Faktoren sind so vielfältig, dass Vorhersagen in diesem Bereich noch unzuverlässig sind.

Wie kann man sich schützen?

Angesichts dieser Aussichten ist Antizipation das Schlüsselwort. Und zwar an mehreren Fronten. Durch die Stärkung der Gesundheitssysteme, durch die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für diese Risiken und durch ehrgeizige politische Maßnahmen zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaften. Das bedeutet, die städtischen Strukturen anzupassen, um den „Hitzeinsel-Effekt“ (die Konzentration hoher Temperaturen in betonierten Gebieten) durch mehr Grünflächen abzuschwächen.

Das hat zwei Vorteile: weniger Hitze, aber auch weniger Luftverschmutzung, was wiederum das Schlaganfallrisiko senkt, da Schmutzpartikel eine entzündliche Wirkung auf die Blutgefäße haben. Weitere Maßnahmen sind der Bau von klimatisierten Räumen, in die man sich für einige Stunden am Tag zurückziehen kann, die Verwendung von weißem Asphalt, der sich weniger aufheizt als schwarzer, oder das Anbringen von großen Vorhängen über den Straßen, um die Passanten vor der Sonne zu schützen (eine Maßnahme, die schon die Römer einsetzten und die in Sevilla, Spanien, wieder in Mode gekommen ist).

Dennoch sind gezielte Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen notwendig. Mancherorts wurde damit bereits begonnen. In Frankreich wurden als Reaktion auf die katastrophale Hitzewelle im Jahr 2003, die mehr als 15.000 Menschen das Leben kostete, Warnsysteme eingerichtet. Aber es muss noch mehr getan werden, vor allem durch internationale Zusammenarbeit, um Ungleichheiten im Gesundheitsbereich abzubauen. Damit soll verhindert werden, dass Länder mit niedrigem sozioökonomischem Niveau den höchsten Preis für die globale Erwärmung zahlen müssen. Eines ist sicher: Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um widerstandsfähige Gesellschaften aufzubauen, die in einer Welt überleben können, die sich wie nie zuvor erwärmt.

LEAVE A REPLY

Please enter your comment!
Please enter your name here